Mit 37 lernte ich zu schwimmen.
Quälende Wochen im immer etwas zu warmen Schwimmbad im betonig- bauchigen Keller einer Seniorenresidenz. Zwischen Tchibo- Fengshui und Teakholzimitatboden.
Woche für Woche mit all den anderen- hmm, wie sagt man da?- Schülern: Der schnabbeligen Ukrainerin, die jetzt endlich mal was für sich machen wollte nach drei Kindern, der heftig tätowierten Punkerin mit der dunkelblauen Erima- Badekappe über den Dreadlocks, die „es jetzt einfach mal lernen wollte, so gings ja nicht mehr weiter“ und dem stämmigen Bademeister- Typ mit David- Hasselhoff- Auftreten, so lange, bis die Tür zum winzigen Becken geöffnet wurde und er erkennbar in sich zusammenfiel und ich immer an Baiser denken musste, bei Durchzug.
Und ich eben. Aufgekratzt, pseudosouverän, mit pochendem Herzen, stets so früh unter der Dusche, dass ich frierend vor der milchigen Glastür stand, umständlich ins Handtuch gewickelt, die ausklingenden Rhythmen des AquaFitness- Kurses im Ohr: „Mädels, noch 3, dann Entspannung“.
Diese froschhaften Bewegungen, viele Wochen nur auf dem Rücken, roboterartig und doch sehr bald routiniert ausgeführt. Die stets wiederkehrenden motorischen Abläufe (was für ein Wort) scheinbar nicht das Problem, wie ich auch schon früher ahnte, als ein dickes Hanfseil meine Kinderwelt in „Schwimmer“ und „Nicht- Schwimmer“ unterteilte und ich bis genau dorthin wohl auch, nun ja, schwimmen konnte.
30-40% aller Erwachsenen können in Deutschland nicht oder nicht ausreichend schwimmen, was egal ist, wenn man keiner davon ist. Also lieber für mich behalten, den Kurs und die ernsthafte Bedeutsamkeit, die er schnell für mich entwickelt. Und eigentlich von Beginn an hatte.
Schwimmscheiben aus Styropor - wie froh war ich, dass mir die Flügel meiner Kindheit, außen neonorange, innen plastikblau, erspart blieben- und nächtliche Selbstabwertungsorgien, wenn der Fortschritt ausblieb und mit ihm der Schlaf und ich mich nach wie vor den ganzen Abend so sehr in den Beckenrand gekrallt hatte, krampfhaft strampelnd, dass mir auf dem Weg nach Hause, die Strickmütze stets sehr tief ins Gesicht gezogen, die Hüften schmerzten.
Anfangs vier Scheiben, dann zwei, als ich keine mehr trug meine Frage:
„Das ist jetzt schwimmen, oder? Also so richtig schwimmen?“.
Stets dabei meine gut verschnürten Kellergeister, meine vertrauten Tauchgespenster, die mit ins Becken und vor allem ins Bett stiegen, abends, wenn das Adrenalin nur langsam aus jeder Pore meines Körpers wich.
Loslassen und gleiten, fallen lassen in die unbekannten Wogen und vor allem vertrauen, nicht unterzugehen dabei.
Mit 37 lernte ich zu schwimmen.Ich begab mich langsam in den Fluss und tat es nicht gegen, wegen, trotz, sondern mit meiner Angst.
Mit 37 lernte ich zu schwimmen.
Und ich schwamm.
Kommentar schreiben