Generation Undo

Ich fühle mich als Teil einer zutiefst verstörten Generation. Ins Leben geworfen ohne konkreten Auftrag, kein Wiederaufbau, keine Auferstehung aus Ruinen, kein kollektiver Befreiungsschlag zwischen zerschnittenen BHs und freiem Sex, am Bruttosozialprodukt nie manisch schwitzend mitgekurbelt und auch der kalte Krieg irgendwie nur lauwarm. Ich gehöre also zu denen, die auf geebnetem Grund laufen können, wie jüngere Geschwister (zu denen ich dann ja auch noch gehöre, au weia), die ein bisschen nassforsch schon mit 14 in die Disco rennen, natürlich reichlich fehl am Platze und dementsprechend ungelenk und überfordert. „Was mach ich hier eigentlich?“

Ich habe alle Möglichkeiten, kann Welterklärer sein,  Meinungsmacher oder Rockstar, wenn ich will auch nur für einen Moment und auch nur ein bisschen. Das Ganze mittlerweile in der Hosentasche präsent, im Bett, im Garten, im Kopf. Also immer. Mit Freunden geteilt, die zwar coolerweise in Singapur wohnen und um gegenseitige Zustimmung bemüht ihren Daumen heben, mir aber vermutlich keine Hühnersuppe vorbeibringen bei ner Erkältung, oder den Drachenbaum gießen, während ich couchsurfe in- sagen wir- Vietnam.

Ich kann all das mal kurz anreißen, was früher einen ganzen Lebensentwurf ausmachte. Und gleich darauf wieder verwerfen. Zerknüllter Skizzenblock, überquellender Mülleimer, kreatives Chaos, aber auch immer irritierende Unordnung. Fiebrig wetteifernd um die goldene Ananas des individuellsten Profils, um uns abends mit abgeknickten Handgelenken in die wohligwarm piefige Vertrautheit der Retromöbeln unserer Trümmerfrauen- Omis zu flüchten und erstaunt und seltsam berührt zu sein, dass das nachhaltig- regionale Microbrauerei- Bier auf dem Nierentisch ja scheinbar wie gemacht für gerade mich ist.

Ich bin Teil der Generation Undo. Ich kann alles schaffen, machen, denken, verstehen, erreichen. Einfach versuchen, weil wenns nichts wird einfach wieder löschen und von vorne, die nächste Fahrt geht wieder rückwärts. Starte noch heute, das nächste Postit an den Kühlschrank zu den Kalendersprüchen und dem gekritzelten Herz von ihr, die sie jetzt was mit Medien macht in Hamburg.

Blöderweise hat irgendwer Leitplanken und Gebrauchsanweisung vergessen, weshalb ich umzingelt bin von oftmals anrührenden, selten aber tragfähigen Kurzzeit- Lösungsversuchen, bis ich feststelle, dass die meisten davon ja meine eigenen sind. Ich lese sieben Achtsamkeitsbücher. Gleichzeitig. Und werde Qi Gong- Asket für 9 Wochen. Oder Experte. Für irgendwas, das Multiversum der Machbarkeiten als Tummelplatz des kollektiven Individualismus.  

Die Bitterkeit in der Betrachtung rührt, so ehrlich kann ich mittlerweile mit mir sein, aus purem Neid auf die, die die Möglichkeiten als eben das verstehen, was sie auch sein können: Die große Freiheit, das pure Glück, eine Wahl zu haben. Und na klar genieße ich es auch, dass ich Tango lernen könnte oder eine Meinung bilden zu der Frage, ob es einen guten veganen Eiersatz gibt. Oder morgen einfach von vorne anfangen, nochmal ganz anders. Undo.

Bitterkeit vermutlich auch, weil es sich anfühlt, als sei das ganze eine halbe Generationsarmlänge weg und ich dem seltsam entwachsen,  „zu alt für den Scheiß“ an den sonnigen „fehl am Platze, nicht mehr im Blick“ den grauen Tagen. Vor allem  aber dieser tranige, verbrauchte Geschmack auf der Zunge, weil ich zwischen all diesen Möglichkeits- Steilwänden bis zu den Knien in meinen „to do“- Listen stehe in albern kurzen Hosen und mir meine „to not dos“ dabei viel zu wenig erlaube.

Ich habe gelernt, dass alles grundsätzlich machbar, weil umkehrbar ist und dabei oft genug vergessen, Dinge gerade unumkehrbar zu machen, fix, sie eine lange Weile aufzurichten und vor allem auszuhalten. Mich festzulegen. Und längst bin ich selbst zum gebogenen Pfeil geworden, krummer Rücken, Blick spitz nach hinten gerichtet, irgendwie krude verdreht. Rotation. Schwindel. Ambivalenz als das relativ dürftig maskierte Ansinnen, auf die bessere Chance zu warten, vielleicht nur einen Klick weiter.

Ich bin also zutiefst verstörter Teil einer Generation, die bei genauerer Betrachtung gerade im Nicht- Festlegen erstarrt. Wie im Film: Die Konsumkulisse wird im ruckligen Affentempo vorbeigezogen  und wir drehen in Lederhandschuhen und mit akkuraten Gelfrisuren etwas unmotiviert am Lenkrad, während wir unablässig in die Sonnenbrille neben uns quatschen. The World in Motion. Ob die Grüblereien über das, was morgen so alles passieren wird oder übermorgen, natürlich primär, was schiefgehen kann und sicher auch wird, weil ichs ja bin, Murphy´s Law und so, also ob dieser abendfüllende „was wäre wenn“- Zirkus Ursache, Folge oder Symptom sind, wer weiß es noch?

Ich starte vielleicht mal damit, einfach zu machen und danach zu gucken, wozu es gut war, der Intuition trauen. Oder besser noch, vertrauen, dass es sie noch gibt. Und trotzdem dran zu bleiben, also den gebogenen Pfeil als Option mal nicht als erstes in Erwägung zu ziehen, aus Fehlern zu lernen fürs nächste Mal, nicht für eine neue Version des vorigen Mals. Wie gesagt, ohne fremdbestimmte Gebrauchsanweisung und ohne übergeordnetes Ziel oder Tabu- Leitplanken aus dem kollektiven Über- Ich . Denn den Preis will ich ja auch nicht wirklich zahlen, wenn ich ehrlich bin. Oder vielleicht öfter mal ne Münze werfen, oder den Mikadostapel hinwerfen und dann mal gucken, wo die bunten Ringe liegen. Fallen lassen, eben. Weniger Experte sein, eher Ausprobierer. Also: Do! Schnell aufs Postit geschrieben und das Ausrufezeichen nicht vergessen…

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