Die Treppe ist steil und durchgetreten. Der muffig- kühle Luftzug schlägt ihm entgegen. In den Keller gehen, die Leichen sichten, so lautet der Auftrag.
Die Taschenlampe hat er dabei, neben reichlich Bammel vor dem, was sich alles hier unten in ihrem Lichtkegel tummeln wird.
Licht an. Ein warmer Trichter gelblichen LED- Lichts baut sich vor ihm auf. Moder. Feuchte, alte Überbleibsel von Irgendwas. Einige unangenehme, längst abgelegte Ich- Reste hängen wie Kartoffelsäcke in der Ecke.
Er dreht sich um. Die Lampe strahlt an die gegenüberliegende Wand. Eine solide, erstaunlich gut erhaltene Mauer. Und auf einem kleinen, dreibeinigen Schemel eine Figur, eine Gestalt eher, die ihm vornüber gebeugt den Rücken zudreht. Im Blaumann vielleicht.
Ruckartig wendet sie sich um und lächelt. Lächelt ihr dämlichstes, überlegenstes Lächeln, nein Grinsen eher. Eigenartig geschlechtslos steht sie da. Und grinst.
„Kennen wir uns?“
„Ja“
„Und…Wer bist du?“
„Wer sollte ich denn sein?“ Noch breiter dieses wirklich dämliche Grinsen.
„Jutta wäre gut. Ein Anfang“.
„Okay, das kann ich. Wieso sie?“ Kurz bricht es weg, das Grinsegesicht.
„Naja, Unschuld verloren. Hängengelassen, zum Affen gemacht. Dies, das, eben.“
„Hey, aber Mann, was ist mit den paar begehrenswerten Momenten und diesem Freundschaftsding über all die Jahre?“
„Keine gute Wahl meinst du?“
„Ich weiß nicht, aber es fühlt sich nicht an wie „am besten nie begegnet“, also so ein „nie, nie begegnet“. Denk lieber nochmal nach.
Das tut er, unser Mann im Keller. Und hockt mit schmerzhaft eingeknickten Knien und denkt. Und fühlt nach. Und denkt noch mehr. „Hält sich gut versteckt“, ein Gedanke, nicht ohne Anerkennung.
Etwas fällt und purzelt an seinen Füßen entlang. Ein hohles Geräusch auf dem Boden. Eine Falltür. Das Laub, den Dreck hastig beiseite geschafft und mit spitzen Fingern die kühle Holzplatte hochgestemmt. Ein Luftzug von noch weiter unten. Der Hall eines Tunnelsystems. „Hallo“. Echo. Das ist nicht die Antwort, hofft er.
Die Holzleiter knarzt bei jedem Schritt. Bald schon ist er unten. Hier braucht er keine Lampe, hier ist es hell. Taghell, was ihn nicht mal verwundert. Der Raum ist gerade so hoch, dass er aufrecht stehen kann, die Decke so nahe, dass sie seinen Atem laut vernehmlich wiederhallen lässt. Ein hastiger Wechsel von Ein- und Ausatmen. Trockener Mund, heißer Kopf.
In der Mitte des gerade zwei mal zwei Meter großen quadratischen Raumes eine massive Holztruhe. Sonst ist er leer der Raum und über und über in grellbuntem Paisleymuster tapeziert. „Retro“ denkt er und ist selbst verwundert, wie lustig er das findet, er schüttelt ihn regelrecht, der Gedanke. Das Lachen kracht lärmend an die Decke und erfüllt den Raum.
Er pustet kräftig durch und geht einen Schritt nach vorne. Mit feuchten Händen legt er den metallenen Riegel der Truhe zur Seite und schiebt den schweren, splitternden Deckel nach oben.
Ein Briefumschlag. Er reißt mit dem Zeigefinger die Gummierung auf und zittert die eng beschriebenen Seiten eierschalenweißen Briefpapiers aus dem Kuvert. Die Schrift einer alten Frau. Obwohl er sie so lang nicht mehr gesehen hat, erkennt er sie sofort. Er liest. Versinkt im Text. Eine lange Weile. Und schüttelt den Kopf. Und liest von neuem. Und nochmal. Und versteht.
Hinter seinen Augen eine feuchte Hitze. Nicht unangenehm, eher ungewohnt. Sein Blick vernebelt sich, als er das Briefpapier in den Umschlag zurückpackt. Mit schnellen, sicheren Bewegungen zerreißt er den Umschlag in viele kleine Teile, die er zu Boden rieseln lässt. Sie hatte sich entschuldigen wollen.
Ein warmer Klumpen Übelkeit steigt in ihm hoch, wie ein Schwall dringt der Geschmack in seine Speiseröhre, bitter, abgestanden, alt. Er schluckt ihn herunter, schluckt noch zweimal trocken, um ihn zu verdammen, zu vergessen vielleicht.
Unser Mann schließt den Deckel und lässt sich auf die Kiste fallen, den Kopf in beide Hände gestützt. Sein Herz rast, die Ader an seiner Schläfe pochend, gespannt wie eine Bogensehne, die Beine taub und schwer. Er atmet tief durch, einige Male mit geschlossenen Augen, die Pupillen hinter den Lidern flirrend. Dann steht er auf, steigt raschen Schrittes die Holzleiter hoch, schließt die Falltür und wischt mit dem Fuß das Moderdurcheinander wieder darüber.
Die Gestalt hockt auf diesem Schemel und schaut ihn mit großen Augen an. Kein Grinsen mehr, ein forschender, direkter Blick.
„Und?“.
„Geht’s darum? Loslassen? Verzeihen?“. Nicken
Langes Schweigen. Die beiden blicken sich an. Unser Mann zögert.
Er dreht sich ohne Antwort um und geht schnellen Schrittes die durchgetretene Treppe nach oben, Schritt für Schritt, wirft die schwere hölzerne Kellertüre mit beiden Händen hinter sich zu. Der Knall von Holz auf Holz hallt noch lange in seinen Ohren nach. In seiner Hosentasche klebt ein kleiner Fetzen eierschalenfarbenen Briefpapiers an seinen noch feuchten Fingern.
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