Lavendel (do not disturb)

Meine Oma ist für mich wie ein Gespenst. Erstaunlich bruchstückhaft erinnere ich mich an sie, erstaunlich passgenau ist da ein Gefühl, ein Geschmack vielleicht, wie sie war. Wer sie war. Wer sie für mich war. Irgendwann konnte meine Oma nicht mehr alleine leben. Sie zieht zu ihrer jüngsten Tochter in ein großes, helles, freistehendes Haus. So erinnere ich das.

Mit Garten, mit Katze, mit Widerwillen.

Sie will da gar nicht hin, da bin ich mir sicher. Und meine Tante will sie nicht zu sich nehmen, es scheint mir, dass sie muss. Ja, sie scheint müssen zu müssen. 

Wenn ich an das Zimmer meiner Oma denke, dann ist da ein winziger Raum. Schwere, mit Spitze besetzte Vorhänge stelle ich mir vor, sicher erinnern kann ich mich nur an Zinnteller. Bauer mit Pflug. Und an Kissen, Jede Menge Kissen. Zugeplüscht mit entsetzlich flauschigen Kissen.

Ich betrete diesen Raum nie, bleibe an der Tür stehen. Es riecht nach Lavendel und nach dieser süßlichen Handseife vom dunkelgrün gekachelten Gästebad nebenan. Und nach meiner Oma.

Ihr dunkelbraunes Bett füllt den ganzen Raum. Hier schläft sie. Wenn ich sie besuche, gebeten werde, dies zu tun, sehe ich sie nie in ihrem Zimmer. Entweder ist die Tür verschlossen und sie drin und ich kann dann nur ahnen, was sie da drin tut. Manchmal sehe ich sie Gymnastik machen oder Seilspringen in meiner Fantasie. 

Oder die Tür ist offen, das Zimmer aber leer. Dann sitzt meine Oma im hellen Wohnzimmer und lacht gelegentlich. Ja, tatsächlich, sie lacht. Ich spüre, dass sie gar nicht wohnt in diesem Wohnzimmer, eigentlich auch nicht in diesem Haus. In ihrem Zimmer, wie gesagt, keine Ahnung.

Schemenhaft erinnere ich mich, wie wir uns verabschieden. Sie mir die Hand reicht, ich sie schüttele. Immer sind wir vor dem Abendbrot weg, eine Zeit lang alle zwei Wochen.

Meine Oma ist für mich wie ein Gespenst, das nach Lavendel riecht und die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich schließt.  

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