Äkkiseltään (auf den ersten Blick)

Liisa. Plötzlich steht sie vor mir. Kleiner, als ich dachte, den schwarzen Kapuzenpulli tief in die Stirn gezogen, die Hände in den zusammengeschobenen Ärmeln versteckt, den Kopf leicht geneigt.

"Du bist Thomas, oder?" Schnodderig. Ich bin überrascht. Wir hatten einige Male telefoniert und ihre Stimme war mir vertraut, dachte ich bis gerade. 

Wir hatten Fotos ausgetauscht- sie erst nach einigem Bitten, ich nur mit einigem Unwillen- und doch ist sie mir fremd in diesem Moment. Sperrig stehen wir rum. Obi Wan und die Grinsekatze vor McDonald´s am Kölner Hauptbahnhof.

"Und du Liisa, nehme ich an...". Wow. Geistreich.

Wir müssen erstmal ankommen, sind beide überrumpelt von unserer eigenen Entschlossenheit. Stehen jetzt einfach hier zusammen. Vier Wochen nach unserem ersten Kontakt. Ein Foto als Beginn: Eine Szene auf einer Hochzeit. Menschen tanzen, im Hintergrund ist ein Gesicht eher zu erahnen als zu erkennen.

"Wer ist das?" frage ich meine Kollegin.

"Liisa aus Helsinki", sagt sie.

"Die sieht nett aus."

Ich bin mir sicher, dass es das ist, was ich sagte, auch, wenn meine Kollegin fortan behaupten wird, ich sei sofort entflammt gewesen.

Eine Emailadresse auf dem Schreibtisch. Viele Wochen liegt sie da rum unter Job- Schriftkram und Überweisungsträgern. Als ich den Schreibtisch aufräume, maile ich ihr, bevor ich den Zettel wegschmeiße. Und erwische sie in Uppsala, im Schweinestall, drei Monate Auszeit, work on organic farm. Die richtige Zeit für Liebesbriefe in diesem Rattenloch, wie sie später sagt.

Und so schreiben mir. Werden Weggefährten, Vertraute in dieser Weise, wie es sie vielleicht nur in Anonymität geben kann. Ellenlange Emails aus der Nah- Distanz. Das erste Telefonat an meinem allerersten Abend als Wanderer. Tief in der Eifel, Buchenfurnierjugendschlafzimmer- Ästhetik im Fremdenzimmer.

"Hallo. Hier ist Liisa."

"Bist du noch immer in Uppsala?"

"Nein, in Köln."

"Köln bei Helsinki?"

"Nee, Köln in deiner Nähe, du Tuppes."

Wir vereinbaren knarzig- spontan ein Treffen. Übermorgen.

Und stehen jetzt eben am Kölner Hauptbahnhof. Schlendern zum Rhein. Also ich schlendere, sie stampft im Stakkatoschritt. Ihre struppigen weißblonden Pony- Strähnen wackeln unter der Kapuze bei jedem ihrer irrwitzig schnellen Schritte. (So wirds lange Zeit bleiben: Sie Stakkato, ich hinterher).

Erst nach der kleinen Flasche lauwarmem Rotwein aus ihrem Jutebeutel, die wir uns nippend teilen und zwei Kölsch setzt sie ihre Kapuze ab. Beim dritten Kölsch sitzen wir an der Theke, ganz nah und plappern wie aufgezogen, beim vierten knutschen wir. Genießen uns und unseren Mut.

"Ich bin total aufgeregt gewesen", sagt sie und zieht einen Flunsch wie die kleine Mü von den Mummins. Da hat sie mich eigentlich schon. 

"Ich wusste schon vor dem ersten Kölsch, dass ich dich küssen will", sage ich später.

"Ich dachte, es wäre bescheuert, nicht auch noch auszuprobieren, wie du knutschst nach all dem Aufwand", sagt sie und grinst breit und hat damit sicher recht.

Wir ziehen stundenlang gemeinsam durch die Kölner Nacht, treffen Freunde von ihr, trinken, tanzen und beschmieren uns mit Kunstblut. Es ist Halloween. Nach einer kalten, kurzen Nacht auf einem viel zu kleinen Büro- Sofa ohne Decke frühstücken wir schwer verkatert und wohlig verstrahlt in einer Fillialbäckerei Remouladenbrötchen und Teer- Kaffee.

Im Zug nach Hause trennen wir uns in Essen, sie muss hier raus. In meinem Magen Beton, als wir uns mit lächerlich unglaubwürdig gespielter Gelassenheit sagen, dass wir gucken, ob wir uns wiedersehen. Werden wir. Hyvä!

 

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