Happy Birthday

Dichtgedrängt stehen sie in dem achteckigen Wohnzimmer, das durch die Glasfront an der Dachterasse einen weiten Blick über die Dächer der Stadt bietet. Sicher 25 Thirtysomethings, gut situiert, gut gelaunt, genauso alternativ, wie es noch vertretbar ist,  Generation „Wir sind Helden“, sie haben sich ein Denkmal gebaut.

Auf dem freischwebenden Leichtbaubalkon einige, die ihre Nasen platt drücken, die Kippen wie Glühwürmchen im sternenklaren Nachthimmel dieser lauen Sommernacht.

„Wie lang ist es noch?“

„Zeit für den Countdown“.

 

“10,9,8“. 

Josch steht am Stehtisch vor der ochsenroten Wand und genießt den Moment. Alle sind sie da, alle, um ihn zu feiern, ein neues Jahr, durchstarten.

„3,2,1“

Ein Gegröhle, dann Stevie Wonder. Funky und laut.

„Happy Birthday“ und alle tanzen mit.

„Heute kann es regnen, stürmen, oder schnein“, die Musik stoppt.

Josch mit schimmernden Augen, die Bierflasche in der Hand, abgeknicktes Handgelenk.

Beck´s Gold. Na klar.

Wie eine stumme Choreographie lassen alle Eva durch, bilden eine Gasse, Rettungsgasse ist das Wort, das ihm einfällt. Und sie tritt durch, kleiner noch als sonst, blass, ihre dunklen Haare fallen im Mittelscheitel auf die Stirn, wenig Spannkraft. Josch blickt sie an, lächelt, durchstarten auch hier, Neuanfang, nur eine Phase, der Sommer ist da. Eva erwidert sein Lächeln nicht, tritt nah, umarmt ihn steif. „Alles Gute zum Geburtstag“, er versucht, sie länger zu halten, Weichheit in diesen Kontakt zu geben, Wärme, aber sie ist schon wieder weg.

Lächeln auch beim Auspacken des von Amazon verpackten DVD- Packs. „Die habe ich mir so gewünscht, supergeil“, quiekt er. Den Anschein wahren, wie schon die letzten Monate, anschauen wird er sich das Ganze nie.

Der Pulk rückt näher, ein Herzen, Shakern, Lachen, schnell auch ein Bier, das Tablett mit dem Schnaps darf nicht fehlen, the Show must go on. Es wird eine rauschende Nacht, die letzten gehen, als die Sonne mühsam an der Brüstung hochzukraxeln scheint. Josch ist heiser, leidlich betrunken, müde getanzt und total bettreif. Er schläft wie ein Stein. Traumlos.

Die Schlafgäste bleiben bis nach dem ziemlich späten Frühstück, obwohl er immer wieder Einladungen ausspricht. Pizza holen, die ganz große Alkoholverdunstungsrunde, die neue DVD muss unbedingt angesehen werden, am liebsten mit euch. Um 14 Uhr sind nur noch sie beide da.

„Ich muss mit dir reden“. Wie ein Blitzschlag durchzuckt es ihn, es ist der Moment, den er seit Monaten befürchtet. Seit sie auszog aus dem Schlafzimmer in ihr Zimmer, „Ruhe finden“.

Vielleicht auch erst, seit auch die spärlichen Kommunikationsfetzen verhallen, die Konversation nur noch funktional erscheint. „Hast du schon die Spülmaschine?“ „Bist du fertig im Bad?“ „Haben wir noch meine Milch?“. Monate, so oder so.

„Hmmm“. Zusammengekniffene Augen, eher Ausflucht als Gemeinheit.

„Joschi, so geht das nicht mehr“ „Evie, das stimmt, ich hab das gestern auch gedacht, so geht das nicht und deshalb hatte ich son klares Neubeginn- Gefühl, wir starten nochmal…“

„Ich kann das nicht mehr“

Ein Schlag in die Magengrube. Ein kalter, klebriger Klumpen krampft sich zusammen in Joschs Eingeweiden.

„Ich will das nicht mehr“.

Noch immer schweigt er.

„Ich ziehe aus.“

Völlige Leere, nur das tosende Rauschen seines Blutes in den Ohren.

„Wieso sagst du nichts?“

„Was soll ich sagen?“ Abziehbildchenkommunikation, wenn es nicht so existenziell wäre müsste man lachen drüber. So nur kotzen, denkt er.

„Seit wann weißt dus?“ „Schon einige Wochen, ich wollte dir aber die Party nicht kaputt machen.“

„Oh, das ist fair“, die Bitterness eine Nummer größer als geplant, wieso gelingt ihm auch jetzt wieder nur der zynisch- souveräne Part. Pseudosouverän, denkt er und würde am liebsten zu Boden fallen und flennen und sich an ihr Bein klammern.

Das tut er, als sie die Wohnung verlässt „Du bist so ein Arsch. Ich brauch erstmal frische Luft.“  Zwei Türen knallen, eilige Schritte auf der Treppe, sie rennt.

Da steht er, allein, der rechte Ellbogen auf dem Stehtisch vor der roten Wand, darauf ein vergessenes Glas mit Salzstangen. Er starrt aus dem Fenster und wartet, vielleicht darauf, dass die Welt ein Ende findet. Oder darauf, wie vom Blitz geschlagen zu Boden zu fallen und zu sterben, einfach so.

Aber es passiert. Nichts. Eine sehr lange Weile passiert gar nichts.

Und dann kommt es doch. Zuerst als Zittern in den Knien, sein Körper fühlt sich wie Pudding an, formlos, bodenlos, sein Zwerchfell bebt im kurzen Wechsel. Josch öffnet alle Schleusen: eine Welle atemberaubender Übelkeit überrollt ihn, ein lautes, klagendes, krächzendes Weinen. Er schluchzt, als längst keine Tränen mehr kommen, mittlerweile vor dem Sofa kniend.

Neuneinhalb Jahre. Er schleicht mit gebeugten Knien in sein Büro, setzt sich an den schlichten Holzschreibtisch und schreibt. Schreibt natürlich ihr. Erstmals seit sehr langer Zeit. Schreibt und argumentiert und bettelt und fleht und schwört und schlägt eloquente Lösungen vor und weiß doch, dass sie bei ihrem Entschluss bleiben wird, weil er sie genau dafür ja liebt. Und, weil sie offensichtlich schon eine lange Zeit ihre Gedanken sortiert, formiert hat und sich ihrer Sache ziemlich sicher ist, wie immer, wenn sie mit dem raustritt, was sie vorher mit sich selbst ausgemacht hat. Er schiebt ihn trotzdem unter der Tür ihres Zimmers.

Wie sie den Brief findet, wird er nie erfahren, sie bedankt sich kühl bei ihm dafür. Sonst nix außer „Danke“,

"Mann, Evie, das ist Scheiße, Mann, ich mach und tu und probier und du sagst nichts als…“

 „Du hast gar nix kapiert, Josch.“ Sie klingt müde. Sie hat das „i“ weggelassen, denkt er und versinkt.

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