Würmchen

Meine Oma sagte immer, ich habe Würmchen im Kopf, wenn ich so bin.

"So", das heißt störrisch, gereizt, zutiefst ambivalent, kindlich bockig, überfordert eben. Ich fühlte mich dann auf seltsame Art gesehen von ihr und ihr martialisch anmutendes Ritual, mir diesen Wurm aus der Stirn zu ziehen, mit gespitztem Daumen und Zeigefinger, ihn auf den Boden direkt vor mir zu werfen und mit der Hacke ihres Hausschuhs ausgiebig zu zerquetschen, gab mir immer ein gutes Gefühl.

Das Gefühl von Unterstützung und Ausweg und vor allem davon, berührt zu werden. Heute denke ich, dass ihre Berührung das wahrscheinlich heilsamste daran war, ihre konzentrierte Widmung und ihr schelmisch- heiliger Ernst dabei.

Ich erinnere mich, wie sich ihre eigentlich immer frisch eingecremten Atrix- Finger auf meiner Stirn anfühlten und an ihren leicht abgestanden säuerlichen Atem, der mir so lieb und vertraut war.

Und an die Erleichterung, wenn dieser Wurm dann endlich vor uns lag, zuckend, sich windend, wir ihn beide offensichtlich sehen konnten und ihn mit wenig verhohlener Brutalität zermalmten. Ich durchatmete danach.

Auch heute noch kenne ich diese "Würmchen"- Situationen zu gut, oftmals, wenn mir alles zu viel ist, ich mich nach zig Reflexionsrunden ganz schwindelig in meinen Möglichkeiten verlaufen habe oder wenn ich überreizt bin von dem Draußen. Oder dem Drinnen.

Ich stehe dann da mit diesem Würmchengefühl und muss an meine Oma denken und an ihre heilsame Zuwendung.

Dass ich mir nicht selbst regelmäßig die Würmchen ziehe zeigt wahlweise, dass ich zwar älter, aber nicht zwingend schlauer geworden bin, oder aber, dass ich mir diese Fingerfertigkeit noch nicht recht zutraue.

Ich sollte es üben.

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