Ich sitze im Auto meiner Eltern. Landpartie. Am Wegesrand Felder, immer wieder unterbrochen von kleinen Siedlungen mit grauen Hausreihen, wie sie so typisch sind hier, wo Steinkohle aus der Erde geholt wird und viele Menschen schnell eine Heimat finden sollten, oder zumindest ein Zuhause. Frischgewaschene Wäsche flattert im Wind. Auf blauen Plastikleinen zwischen klobigen Betonpfosten in kleinen rechteckigen Gartenparzellen.
Da steht eine Frau auf dem Rasen. In einer bunten Kittelschürze. Sie greift in die Bauchtasche und holt Wäscheklammern heraus, um das nächste Betttuchsegel zu hissen. Wir passieren den Garten in unserem roten Audi 80 und für einen Moment stehe ich dort, die Wäsche beult sich in der nächsten Böe, mein konzentrierter Blick auf den bunten Plastikklammern in meiner Hand.
In der Ferne erblicke ich zwischen den wehenden Betttüchern ein rotes Auto, das über die etwas höher gelegene Landstraße mit gleichmäßigem Tempo fährt. Mir ist, als könne ich auf dem Rücksitz ein Gesicht erkennen, kindlich rund, die Nase wohl an der Scheibe plattgedrückt. Ein Junge, neugierig, unsere Augen begegnen sich.
Für einen kurzen Moment.
Das Auto fährt weiter, ist jetzt außer Sichtweite.
Und ich sitze in diesem Auto und löse mich wieder aus dem Kontakt.
Früh fing es an, dass ich mich beim Sein beobachtet habe, aus mir rausgetreten bin und mir einfach zugeschaut habe. Die Faszination, dass alles eine Frage der Perspektive ist.
Dass Menschen sich begegnen und den jeweils Anderen dabei unentwegt als ihr Gegenüber wahrnehmen, wir dabei "hier" und "dort" sagen, "du" und "ich" und vermutlich das exakte Gegenteil meinen. In der Sesamstraße sehe ich früh einen wundervollen Film dazu und bin im wahrsten Sinne hin und weg, dieses leicht schummrige Gefühl, wenn ich mir das Leben als Spiegelkabinett vorstelle, begeistert mich.
Manchmal fuhren wir auf Urlaubsreisen lange denselben Autos hinterher. Nach Holland, in den Zipfel, in den es so viele aus unserer Gegend zog. Mich faszinierte die Idee, dass wir den Weg teilen, das gleiche Ziel haben, eins sind sogar, gewissermaßen austauschbar. Oder zumindest gleich für eine Weile. Ich sehe uns die Wege fahren aus der Vogelperspektive, wie Mäuse im Jahrmarktslabyrinth oder Playmobilfiguren in der großen Westernstadt.
Und denke dann, dass der einzige Unterschied am Ende liegt, wenn wir rechts abbiegen und die links, oder wir jetzt halten, jene aber später. Vielleicht sogar nebeneinander, aber eben nicht mehr gleich.
"Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein" wird der der "Merksatz Mechanik Einspunkterstens" sein, viele Jahre später im desolaten Physikunterricht und ich werde ihn sofort begreifen.
Für kurze Momente aber kann es sich durchaus so anfühlen.
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