Mittagspause

Ich öffne sachte die Etagentür. Weiß schon nach einigen Sekunden, was für ein Tag heute ist: Kommt Mama mir entgegen und drückt mich fest, meist etwas zu fest, an ihre Brust oder schürzt sie die vom Druck blassen Lippen, bleich, die rechte Hand beschwichtigend wedelnd vor dem Mund.

Ich stecke also mein Gesicht vorsichtig etwas weiter durch den Türspalt. Die Luft schmeckt klebrig, düster, zäh, ein bisschen wie lauwarme mehlige Äpfel. Heute wird sie wedeln. 

Ich trete schweigend ein. Wieder schweige ich und stimme ein in in den Chor, Stille als Genuss wird mir erst viele Jahre später überhaupt nur annähernd klar.

"Papa schläft." Ich weiß nicht, ob sie die Worte laut ausspricht. Sie führt mich in die Küche, muss mich dafür nicht berühren, ich kenne den Weg. Sie schließt die milchig gelbe Glastüre. Und los geht die Textarbeit. Tonloses Nichtssagen mit verteilten Rollen. Ich habe es ausprobiert, die Antworten an Wedeltagen sind komplett egal, ich kann also getrost einsilbig bleiben:

"Wie war die Schule?"

"Gut."

"Hast du Hunger?"

"Total". gelogen.

"Was gibt´s"

"Nudeln mit Gehacktes." (niemals Nudeln mit Tomatensauce, von Bolognese ganz zu schweigen, mein Vater mag keine geschmacklichen Experimente, die hole ich mir dann auf jedem Kindergeburtstag, wo ich futtere bis mir schlecht ist. Spare in der Zeit und so.)

"Gibt´s was Neues in der Schule?"

"Nein."

"Hier auch nicht."

Unendlich so weiter. Serve and Volley.

Wir sind total gut in unseren Rollen, so gut, dass ich gar nicht weiß, ob wir uns das nicht sogar glauben. Füllen jeden Augenblick.

Und nach dem Dialog kommt das große Mampfen. Ich schaufle gegen jede Verlegenheit oder die Pausen, in denen es ja Fragen geben könnte oder Antworten.

Zwei Teller in Affengeschwindigkeit, ich unbehaglich schaufelnd, sie stets aufspringend, nachfüllend, mich beobachtend, selbst nicht essend. "Ich hab schon." Gehetzte Ungleichzeitigkeit.

Ich mampfe mir eine Wand und bin froh, als der zweite Teller geputzt ist. Reste lassen fällt mir auch heute noch schwer, auch wenn es schon seit Jahren natürlich keinen "Hats dir nicht geschmeckt?"- Blick gibt oder ein "Das schaffst du noch."

Ich lasse den Teller auf dem Küchentisch stehen, gehe aus der Küche und sehe, dass das Arbeitszimmer verschlossen ist. Okay, also noch nicht mal ein Sofatag.

Ich drücke die Klinke zu meinem Zimmer leise herunter, wie auf einer Nachtwanderung, mittags um kurz vor zwei. Gehe rein, werfe meine Tasche in die Ecke, nehme meinen Rucksack aus dem Schrank und verlasse das Haus. "Bis später!".

Ich wundere mich nie darüber, wie früh meine Eltern aufhören, mit mir Zeiten abzusprechen. Ich schließe die Tür hinter mir und gehe. Raus. Wie jeden Tag.  

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