Meine Mutter ist der Mensch, zu dem ich am häufigsten ungerecht war in meinem Leben. Oft brüllend. Auch jetzt wieder, wenn ich merke, dass mir keine Geschichte über sie einfällt.
Eine zu finden ist mir gar nicht so leicht. Was soll ich erzählen?
Wie sie plötzlich einen Kachelmalkurs belegt, meines Erachtens nach rasch beachtliches Talent zeigt und nach Kursende der Serie Löwenzähnen aus dem Treppenhaus kein einziges Exponat mehr hinzufügen wird? Wie sie mit 37 den Führerschein macht aber bis heute erzählt, wie unsicher sie am Steuer ist? Sie zig Jahre die emotionale Konstante in unserem seekranken Familiensystem war, um heute heulend zu bereuen, was für eine schlechte Mutter sie war? Sie 30 Kilo abnahm, um sie einfach wieder zuzunehmen?
Meine Mutter ist Understatement auf Beinen. Irgendwas in ihr scheint ihr Gelingendes zu verbieten, Stolz ist unerwünscht und ungehörig.
Bloß nichts erreichen, wie folgerichtig, dass sie nach der Zehnten abgeht vom Gymnasium und dies heute zutiefst bereut, woran auch die etwas zweifelhafte Geschichte, meine Großeltern hätten ihr dies verboten nichts ändert, die auch eigentlich nur ich so erzähle, sie würde das nie tun.
Dieses Understatement macht mich rasend, ich möchte sie dann schütteln und sie dazu bewegen...
Ja, zu was eigentlich? Ihr Glück in die Hand zu nehmen, ihre zahlreichen Möglichkeiten auszuleben, rauszukommen aus diesem selbstmitleidigen Kokon? Oder ist es doch die Tatsache, wie sehr wir uns ähneln, was mich ängstigen kann und bedrücken?
Früher war es offensichtlich mein Antrieb, eine coolere, stärkere Mutter zu haben, ich schämte mich wohl. Wenn es stimmt, dass Scham das Bedürfnis des Herdentiers nach Zugehörigkeit ausdrückt, so nimmt das dieser Erkenntnis die Härte. Ich wollte dazugehören. Zu all den Kindern mit leichten, lockeren, souveräneren Mamis, die es eigentlich überhaupt nicht gab. Ich wollte Normalität, aber auch die war wohl aus.
Bis zum Schütteln habe ich es dann nicht kommen lassen, es blieb beim Brüllen. Ich schrie, schimpfte, piekste. Aus Scham? Aus Sorge? Aus Mit- Leid? Oder um mich abzugrenzen, einfach in Ruhe gelassen zu werden?
Ich schrie jedenfalls und nichts bewegte sich.
Ich lernte, schreien durch dozieren zu ersetzen. Wurde so Ratgeber und Oberlehrer. Weniger laut, aber nicht weniger unangenehm. Und vor allem...nichts.
Jetzt übe ich gerade, zu akzeptieren.
Das Understatement vielleicht sogar manchmal lieb zu gewinnen. In jedem Falle aber die Geschichten bei ihr lassen zu können, sie nicht ändern zu wollen, wohlwollend auf mich, auf sie, auf uns zu gucken.
Ob DAS was bewegt?
Naja, bei meiner Mutter vermutlich nicht, aber ich ahne, dass es darum auch gar nicht geht.
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