Ich rufe nach einigen Tagen des einsamen Nicht- Aushaltens und der Hoffnung, dass es nicht wahr wird, wenn ich es ganz bei mir behalte, mich darin einwickele, G. an und erzähle ihm, dass sie einfach Schluss gemacht hat. Nein, eigentlich rufe ich ihn an und sage erstmal. Nichts. Nichts Verständliches, zumindest.
Heule nur, rotze in die Muschel, stocke, schluchze, stammele. Bis es endlich raus ist, alles. Erstmalig. Er es mal kurz zu sich genommen hat. Behutsam. Vielleicht wie eine streunende Katze, unterernährt und ungewaschen. Schön ist das sicher nicht. Er tut es einfach.
Und schweigt. Sagt kurz "Scheiße". Und schweigt weiter. Lässt mich heulen, beruhigt mich dadurch, dass ich nicht noch weiter in Nicht- Erklärungen strampeln muss, sondern einfach sprachlos sein darf.
Irgendwann fragt er ruhig, ob wir uns sehen sollen, am See. Bewegung sei doch ne Idee. Und quatschen. Wir laufen dann aber im Wesentlichen stumm, ich nach Tagen im Loch noch leicht klaustrophobisch draußen im sommerlichen Leben. Er neben mir, weiter eher wortkarg, sparsam, Rat- los. Ein Begleiter.
Wir beginnen die zweite Runde und langsam wendet er meinen Blick auf das Realistische, das Zukünftige. Das kann er gut. In Runde Eins hätte ich ihn noch schallend ausgelacht. Aber jetzt reden wir plötzlich von Auszügen und Einrichtungen, vom sacken lassen und davon, vielleicht später nochmal anders zu gucken.
Er beschwichtigt nicht, gaukelt keine Leichtigkeit vor, ist ernst, sachlich und präsent. Und trifft damit den Ton, von dem ich spätestens da weiß, dass ich ihn in meinem Leben so sehr brauche, wenn mir das Drama und der Pathos wieder aus allen Poren trieft und ich kein Land mehr sehe vor lauter Wellengang.
G. ist mein Freund.
In Momenten wie diesen gießen wir gemeinsam Beton in die vorgefertigte Form und schauen dem Fundament beim Aushärten zu, selbst ich geduldig, er ja sowieso.
Ich weiß nicht, ob ich erst an diesem ersten Tag, an dem wieder Licht in meine Höhle fiel, klar hatte, wie fest dieses Band ist. Jedenfalls hatte ich es da klar und bin so froh, dass wir beide darauf auch schon manches Mal balancieren konnten, wenn sich plötzlich mal wieder so ne Lebensschlucht auftat und wir ins Schwanken kamen. Naja, und es hält, trägt, verbindet.
Natürlich auch mit umgekehrten Rollen, wenn er etwa das allererste Mal seine junge Familie für ein Wochenende verlässt und diesen Schmerz einfach so im Zugabteil auf den Sitz zwischen uns legen kann schon bei der Abfahrt, ich nicht gekränkt bin und er nicht beschämt. Sondern er einfach nur traurig und überfordert und ich. Still.
Aushalten habe ich im Wesentlichen durch G. gelernt, nicht mit der schlauen dampfenden Weisheits- Raupe über den Löwenzahn rattern, der da aus dem Asphalt ploppt. Warten, gucken. Kommt schon.
Und er? Hat wohl n bisschen Rampensauerei von mir mitgenommen, traut sich, sich zu trauen, nach vorne zu gehen und seine Scham mitzunehmen.
G. ist mein Freund und ich seiner.
Wir sind sehr unterschiedlich und lassen uns das, nachdem wir einige Jahre des gegenseitigen Beschnupperns brauchten, vielleicht auch des stillen Messens oder Wiegens. Wir haben uns wohl für passend befunden.
Unsere Gemeinsamkeiten freuen uns natürlich auch, wenn wir nicht still sind oder bedeutsam, ausgelassen eher, vielleicht dummes Zeug erzählen. Oder schlaues. Oder gemeinsam vom Wachsen überrascht werden, vom Weiterkommen. Geht einer dann mal nen Schritt vor oder ne Weile seinen eigenen Weg, ist die Sorge, den anderen aus dem Blick zu verlieren, nicht mehr da. Bei mir nicht, bei ihm sicher auch nicht.
So wohnt G. schon lange nicht mehr in meiner Stadt, ist in sein großes Eine- Familienhaus gezogen und lebt dort in seinem Leben, das sich von meinem sehr unterscheidet. Er sich etwa nach Ruhe und Rückzug sehnt, während ich so sehr Zugehörigkeit und Zusammensein suche.
G. und ich sind Freunde.
Und ich weiß jetzt: Entfernung und Distanz sind tatsächlich nicht dasselbe und das nicht nur, weil es Telefone gibt. Zum Reinheulen.
Kommentar schreiben