(wie) im Flug

Wenn das Gefühl, etwas, dann natürlich auch Wesentliches, vergessen zu haben nicht schon längst zu meinem treuen Reisebegleiter geworden wäre, könnte es mir sehr gut Angst machen.

So hat es etwas Kribbeliges, fast Wohliges, am ehesten das Gefühl, loszulassen, loszuziehen, jetzt genau so unterwegs zu sein und nicht zurück zu können, um alles nochmal zu checken, abzuhaken, abzublasen vielleicht sogar. Gewissermaßen das Gefühl von relativer Freiheit zum Preis des Verlustes der letzten Gewissheit. Es macht mich wahnsinnig, ich klopfe einige Male meine Hosentaschen panisch ab oder nästele in der Jacke, wobei ich immer die Bewegung zuletzt etwas verzögere aus Angst vor dem Untersuchungsergebnis und dabei grinsen muss. Denn gleichzeitig ist es wunderbar. Und reiht sich somit nahtlos ein in den  kratzig- warmen Gefühlswust von viel zu wenig Schlaf und viel zu vielen Gedanken.

Als der Wecker klingelt spult das Programm ab. Folgerichtig. Ich mach das jetzt einfach. Und überrasche mich selbst, frühstücke sogar auf dem Balkon. Die Sehnsucht nach Erleben überwiegt an diesem Morgen wohl der Sorge vor dem Versumpfen. Und dann, dann bin ich unterwegs. Alleine.

Das Gefühl von Unausweichlichkeit gesteigert in dem Moment, wenn auf der Startbahn die wilde Fahrt beginnt, die Maschine vorher nochmal kurz stoppt, innehält, durchschnaubt, es dann immer irgendwo knattert oder brummt oder knarzt.

Als würde sie einer Dramaturgie folgen, verharrt sie da. Und wir seien entscheidender Teil davon, der vielleicht rhythmisch klatschen müsste, um ihr einen Takt vorzugeben, bevor sie sich in Gang setzt, nervös- gespannt wie ein Rennpferd oder noch eher eine Dreispringerin.  Die dann schließlich doch unvermittelt von sich aus lossprintet, immer schneller rast, schaukelt, ich Beschleunigung spüre und Lustangst, bevor der Boden kratzend unter den Füßen schwindet, das Fahrwerk mit einem unzeitgemäß rostigen Klacken einfährt und alles nur erträglich ist für einen Moment, weil ich weiß, dass dies genau so schon hundertfach, tausendfach funktioniert hat.

Dann wird die Landschaft zu Seiten aus dem Atlas, unwirklich schön und dann dieser besondere Moment, wenn wir wohl die Wolken durchfliegen, als ginge das und die Sonne schon längst auf uns wartet, sie das immer tut, gelassen und ruhig und ich da dann sogar Reinhard Mey verstehe und nur verzückt starren kann. Ich bewahre mir das Gefühl ein bisschen auf und schmiege mich hinein, weil der Rest mich immer an klapprigen Reisebus erinnert, selbst hier am Fenster. Kein Gefühl für Raum und Zeit, nur verknotetes, dumpfes Abgesitze, bei dem ich immer wieder erstaunlich finde, dass Menschen an den spannenden Stellen entweder futtern, aus dem Fenster stieren oder wie auf Knopfdruck seltsam nackenbehornt einschlafen.

Dreieinhalb Stunden zähes Zeitvertreibe und als ich dann aussteige, ist da dieses Island. Ich kann noch hundertmal fliegen, etwas davon fühlt sich unwirklich und seltsam ungerecht an und ich will dann an rollende Fototapeten glauben, die sie unter der Wolkenwatte auswechseln.

Aber jetzt bin ich da. Und bleibe auch hier. Zwei Wochen. Und habe keine Ahnung, was da draußen auf mich wartet, sehe aber Lavaknubbel mit Flechten schon an der Landebahn und verstehe die Außentemperaturansage nicht, die die Stewardess selbstverständlich nuschelt. Hier ist es natürlich kalt, denke ich, wurschtele mich in mein Longsleeve und stelle mich in die aufgeregt- gebückte Schlange, um auszusteigen. Ich bin also in Island und weiß nicht mal, ob es nicht doch "auf" heißt.

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Kommentare: 1
  • #1

    Veronika-Katharina (Samstag, 09 September 2017 11:23)

    Der Flug ist so realistisch beschrieben, dass ich, die ich noch nie ein Flugzeug von
    innen gesehen habe, ein starkes Kribbeln im Bauch fühle. Da ist dieses Gefühl in den Sitz gepresst zu werden, wie ich es bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h auf der Autobahn spüre, dieses Geschaukele, die fremden Geräusche. Mein Gleichgewichtsorgan ist irritiert.
    Man soll nie nie sagen, aber jetzt besteige ich lieber mein Fahrrad und fahre ins Dorf.
    .