Papageientaucher

Kurz bevor der große Blues kommt, sind sie plötzlich da.

Ich bin seit zwei Tagen on the road, den Ring entlang, im Uhrzeigersinn. Viel zu viele Stunden hinterm Lenker, Kilometer fressen, getrieben von einem Wegvon, weit weg von einem Hinzu. Mein rechter Knöchel schmerzt von dem fast hysterischen Rausgehüpfe aus dem Wagen. Ständig Fotos machen in dem rührenden Versuch, das hier alles festzuhalten. Bei laufendem Motor am unbefestigten Straßenrand. Um es später jemandem zu zeigen, zu präsentieren. Mich zu präsentieren, obwohl ich auf keinem der 2400 Fotos erscheinen werde. Ich sammle also vor allem Motive, weshalb mir manchmal schon beim Knipsen launische Kommentare einfallen oder sehr schlaue Bildunterschriften.

Die Bänder im Fuß sagen: „Lass das, nimm dir mehr Zeit für… irgendwas. Für dich, fürs Fahren, für die Musik. Für Island.“  Sie kreischen fast dabei.

Aber ich mache noch alles gleichzeitig, bin müde zudem, die ersten beiden Nächte waren aufregend, kalt und hart und ungewohnt im Zelt in Stykkishólmur und viel zu warm und ziemlich seltsam in der Achtbettsauna in Akureyi mit den Spaniern, die ihre Wanderklamotten im Zimmer trockneten und dafür natürlich die Heizung hochdrehten und alle Fenster schlossen.

Vor allem: Ich bin unzweifelhaft alleine. Spüre es gerade jetzt sehr deutlich, würde gerne die viel zu vielen Eindrücke teilen, meine Lieder laut singen oder Reiseführerwissen aufsagen und gehört werden dabei oder einfach nur schweigend nebeneinander Haferkekse kauen und aus der Windschutzscheibe glotzen und mampfend über die Wunder staunen, die hier hinter jeder Kurve warten.

Aber: So ein Trip ist das hier nicht. 

Stattdessen sitze ich am Lenker und merke, wie das pausenlose Entzücktsein langsam Lücken lässt, durch die sich ein Gedenke schleicht. Zäh, breiig heute Morgen, es geht ums Versäumen und Bereuen, Konjunktive, vergossene Milch. Eben ein Wegvon. Der Soundtrack dazu ist die Moll- Sektion meiner Playlist, ich suhle mich und die Insel spielt mit, indem sie auch noch grauingrau daher kommt. Das kann sie gut, dick auftragen, viel Landschaft, viel Pathos, wenig Mäßigung. Feuer und Eis, zwischen Mond und Mongolei, drunter läuft hier nichts.

Irgendwann kippt dieses Auawohl um in eine Schwere, die sich in der Brust sammelt und hinter den Augen brennt. Ich brauche dringend eine Pause an der frischen Luft und fahre rechts ran. Ein einfacher Parkplatz mit einigen Sitzgruppen aus Holz, mal wieder atemberaubender Ausblick, diesmal auf ein Steilküstenband, wie ich es so sehr liebe.

Der Parkplatz ist gut gefüllt, nie ist ein Parkplatz auf meiner Reise wirklich leer, glaube ich. Point of Intererst. Und dieses Interesse will geteilt sein, lieber einmal mehr ranfahren als etwas verpassen, ich bin hier also in bester Gesellschaft.

Motor aus, Wanderstiefel an. Raus, die Beine vertreten, ein bisschen am Abgrund entlang, aufs Meer blicken, den rauen Wind einatmen und still werden, mal keine Musik, vielleicht auch keine Gedanken. Steilküstengenuss.

Zwei Menschen kommen mir entgegen, typische Outdoorgestalten in Wetterjackenoliv, er sehr bärtig, sie recht groß. Ich kann ihre aufgeregten Gesichter schon aus einiger Entfernung erkennen.

„Puffins!“. Ohne Begrüßung. Sie rufen es.

„Did you see them?“.

„No“.

Ich bin direkt mittendrin und erstaunt, wie gut mir das tut. Erikas Strahlen in den Augen erwischt mich warm, ihre tiefe Stimme überschlägt sich, ihre langen schönen Finger mit den feinen schwarzen Rändern unter den Nägeln unterstützen ihren Wörterwasserfall. Matt ist ruhiger, etwas zumindest, offen, konzentrierter Blick entlang der Klippe.

„There.“

Natürlich folge ich ihnen, wir sind jetzt drei, das kann Island eh gut, nie aber so unmissverständlich und klar wie in diesem Moment. Jetzt hocken wir gemeinsam am Felsenvorsprung, Matt vornübergebeugt, fast bäuchlings, den Seeräuberkopf weit nach unten gereckt, Richtung Abgrund. Ich dahinter. Meinen Oberkörper noch etwas staksig nach vorne schiebend, lote ich einen erträglichen Winkel aus, mit Wackelknien. Den Impuls, Matt an seinen Jackenflügeln zu halten, unterdrücke ich mühsam. Erika rückt zur Seite, sagt, sie habe ja schon genug gesehen, jetzt sei ich dran. „Thomaaaaas“. Sehr langes a. Mir gefällt das. Matt reicht mir sein Fernglas.

Es sind sicher zwei Dutzend. Ich muss an Pinguine denken und irgendwie an „Findet Nemo“, und irgendwie dann auch an gar nichts mehr. Ich bin näher getreten, liege längst fast in Matts Rücken, das Fernglas fest an die Augen gepresst, angestrengter Blick. Ich versinke. Die orangefarbenen Schnäbel strahlen auf dem Basaltgrau, ihre kleinen, gedrungenen weißen Körper haben etwas Kindliches. Als sie sich tapsig, aber entschlossen in die Tiefe stürzen, stockt mir der Atem.

Sie fallen.

Und strampeln.

Kurze, kraftvolle Flügelschläge, irgendwie kolibrihaft hysterisch, beinahe albern.

Doch dann: Ruhiges Gleiten auf dem Wind, der vom Meer her gegen die Klippe weht. Scheinbar endlos, genüsslich, vertrauensvoll, sicher. Ich folge ihnen. Bin sehnsüchtig, habe sogar das Fotografieren vergessen dabei, hole das rasch nach.

Papageientaucher sind Zugvögel, bauen sich Höhlen in Felsennischen an Steilküsten und bleiben da eine Weile, um zu brüten. Fliegen weiter, wenn der Sommer vorbei ist. Entkommen so der Kälte, den Herbststürmen und sind ständig unterwegs, verschwinden dabei praktisch, sind nicht wieder zu finden und scheinen auf offener See zu leben. Wenn der Frühling kommt, kehren sie zurück, finden ihren Brutplatz verlässlich wieder. Sie hocken auf den Felsvorsprüngen, strecken ihre runden Bäuche in die Sonne und scheinen zu lächeln mit ihren Clownsgesichtern.

Ich stehe immer noch da und staune, schon eine lange Weile. Plappere über die Unglaublichkeit mit der genauso aufgekratzten Erika und staune weiter. Diesmal wohl über mich, und wie mich dieser Augenblick berührt. Weiß nicht,  ob es die Vögel sind oder Matt und Erika.

Irgendwann müssen wir zu den Autos zurückgegangen sein, denn da stehen wir jetzt gemeinsam. Mit unserer Verbindung, die keiner von uns recht durchschneiden will in diesem Moment. Uns stört weder der kühler werdende  Nieselregen noch, dass uns längst nichts mehr zu sagen einfällt.

Ich werde die beiden später noch zwei Mal wiedertreffen, auf einem Vulkankrater beim Mývatn- See, im Schwefelqualm und auf meiner Wanderung im weitläufigen Skaftafell, was mir genauso wenig unwahrscheinlich erscheint wie die Tatsache, dass wir uns an meinem letzten Tag in Reykjavik zum Bier verabreden mit festem Ort und fester Uhrzeit und uns dann dort verpassen. Wir werden uns jedes Mal freuen und herzen wie alte Freunde und es wird sich total vertraut anfühlen. Über was wir sprechen, weiß ich nicht mehr, es scheint keine Rolle zu spielen.

Hier bei unseren Papageientauchern verabschieden wir uns schließlich, steigen in unsere Autos und fahren los. In verschiedene Richtungen.

Im Auto läuft Weezers „Island in the sun“ und stimmt auch noch.

Ich lächle über so viel Kitschigkeit und starte meinen Roadtrip an seinem nördlichsten Punkt einfach nochmal von vorne.

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Kommentare: 1
  • #1

    Veronika-Katharina (Samstag, 30 September 2017 02:00)

    Das Getriebensein, der schmerzende Fuß, die Landschaft grauingrau, das Alleinsein --
    eine derart realistisch beschriebene Stimmung, die ich kaum aushalten konnte.
    Und endlich sind sie da, die Papageientaucher und Matt und Erika!! Und mit ihnen
    wechselt die Stimmung, wird heller, wird leichter.
    Wie schön, dass es auf der ganzen Islandroute noch mehrere "zufällige" Begegnungen
    mit Matt und Erika gegeben hat.