Aran Islands (für J.)

Wir laufen durch das Steinlabyrinth, das von den sanften Hügeln leicht bergab führt. Entlang zahlloser Bruchsteinmauern, die die Welt hier wie von Riesenhand gezogen in kleine Rechtecke einteilen, in denen wilde Wiesen blühen oder vereinzelt Schafe grasfressend durch uns durch glotzen. Geduldig, gelangweilt. Wir haben unsere Fahrräder oben auf dem Hügel an eine rostige Laterne gelehnt.

Ich brauche eine Pause, musste auf unserer Inseltour mit leicht angezogenen Knien einen zu hohen Gang orgeln, die Mountainbikes sind etwas zu klein für mich und silbermetallic, irgendwie aus der Zeit gefallen, wie alles hier. Es ist wunderbar. 

Die Umgebung wird jetzt unvermittelt karger, da sind nur noch Steine, wirken wie zufällig hingeworfen und doch ist ein merklich breiter werdender Pfad gut erkennbar.

Da geht´s lang! Wir sind Robinson und Freitag, unterwegs zum Mittelpunkt der Erde.

Es fühlt sich bedeutsam an, theatralisch vielleicht. Vor allem aber stimmig. Und gut.

Wir sind zwei Freunde auf dem Weg zum Meer. Und erreichen es nach einigen Metern hinter einer Kehre. Salzige Luft schlägt uns rau ins Gesicht, wir setzen uns zu unzähligen Steinmännchen auf einen großen Findling und essen still staunend unsere mitgebrachten Butterbrote. Sind elektrisiert von der Wucht, durchgerüttelt von so viel Einfachheit.

Wir kauen Schulter an Schulter und strahlen uns an.

Wir sind auf den Áran Islands, einer winzigen Inselgruppe ganz im Westen Irlands, sind gemeinsam mit dem Bus hierher, einmal quer durchs Land. Als ich einstieg, sitzt du schon drin, vorletzte Reihe und winkst mir zu. Obwohl wir das so verabredet hatten, kichern wir sicher die halbe Strecke über diese unwirkliche Situation: Du winkst mir in einem irischen Überlandbus zu, so selbstverständlich, alltäglich, an einer Bushaltestelle mitten in Dublin.

Und damit beginnt unsere gemeinsame Reise, zu der wir uns übermütig ein paar Wochen zuvor verabredet hatten. Wir werden einige Tage auf dem Festland verbringen, werden Galway erkunden und seine Umgebung und ein Mittagsschläfchen halten in einer Graskuhle auf den Cliffs of Moher, gemeinsam zur Ruhe kommen im größten Tourietrubel.

Vor allem werden wir jeden Abend in Pubs sitzen, die hier mehr Kulturzentren sind als Kneipen, werden immer dunkle schwere Biere trinken und erfüllt sein von Musik, die hier allgegenwärtig ist. Immer handgemacht, melancholisch, kraftvoll. Die Geschichten von Sehnen und Scheitern bezaubern uns, die Freundlichkeit der Menschen- nie habe ich betrunkenere und gleichzeitig vertrauenswürdigere Menschen gesehen als rund um die Galway Bay- lässt uns eintauchen und Teil haben, Teil sein.

Wir haben wundervolle Tage.

Und ich bin dir nicht erst da dankbar für deine ruhige Hartnäckigkeit. Dranbleiben, unseren Kontakt aufrecht erhalten, auch, als es damals schwierig wird und ich verschwinden will, weil da plötzlich zu viel Nähe ist und mir nur das Gegenteil einfällt. Flucht, Distanz, nichts wie weg. Wir tarieren das dann schließlich gut aus und ich weiß die ganze Zeit, dass es im Wesentlichen dein Verdienst ist.

Muss daran auch jetzt denken, wo wir hier gemeinsam am Strand sitzen, Schulter an Schulter, wir unsere Nächte hier auf den Inseln in einem Doppelbett verbringen und ich schon ab der zweiten Nacht gut schlafen kann, ich mich traue, mich zu bewegen und der Rückenschmerz aufhört und auch der Feuerwehrschlaf.

Ich bin gerne dein Freund und auch, wenn ich weiß, dass dir Pathos schnell klebrig ist, fällt mir in diesem Moment die wundervolle Zeile ein, die wir gemeinsam im Schaufenster sprachen:

„…und wird irgendwann das Meer erreichen.“

Ich weiß nicht, ob ich sie laut sage, sicher ist, dass sie uns verbindet, mit allem, was damit zusammenhängt, nicht nur in diesem Moment, in dem die irische See so wundervoll uneitel in harschen grauen Wellen auf die Kiesel knallt.

Wir sind den dritten Tag hier. Von Doolin aus setzten wir mit einer kleinen Fähre rüber nach Inisheer, der kleinsten Insel der Árans. Stehen dabei im Wind und sind herrlich albern, aufgekratzt, lachen Tränen miteinander. Anstrengung und Erschöpfung von unseren Alltagen der letzen Monate liegen leicht wummernd unter Deck. Das Boot klatscht auf die Wellen, du ziehst eine ulkige Grimasse und trägst ein Seeräubertuch im Haar.

Die raue, urwüchsige Ruhe kriegt uns beide sofort. Du planst schon am ersten Tag deine Rückkehr, willst hier dein Buch- Projekt zu Ende bringen, willst dich monatelang einschließen und einfach nur schreiben. Auch mich berührt und inspiriert das alles hier zutiefst, mein Kopf gibt Ruhe, macht Platz für was Fließendes, Warmes, Weites und ich öffne die Schleusen.

Wir verknallen uns Hals über Kopf in diese Landschaft, die in ihrem endlosen Grüngrau vielleicht an Bronzezeit erinnert und doch so lebendig ist. An unserem ersten Abend spazieren wir hinter unserem Haus, das ohne Vorbuchung noch Platz für uns hat, durch die Steinwälle, beobachten unsere Schatten beim Längerwerden und warten geduldig, bis die Sonne hinter den Ruinen verschwindet und sie in warmen Farben anmalt dabei.

An unserem zweiten Abend trinken wir Biere im einzigen Pub der Insel, in dem wir dann auch diese merkwürdige Sprache hören, die uns schon auf den Schildern, die hier allesamt zweisprachig sind, auffiel. Die schweren, fast gurrenden Laute des Gälischen schmiegen sich wundervoll in die Musik, ein sehr lauter Junggesellenabschied oder Geburtstag oder was auch immer tobt neben uns und wir sind mittendrin. Und selig.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Tagen wir letztendlich auf den Áran Islands sind, ich weiß nur, wie dicht ich sie erinnere, weiß, dass wir von einer trinkfesten irischen Familie bei deren Nachmittagsumtrunk adoptiert werden, dass uns zwei norwegische Frauen im Frühstücksraum davon erzählen, dass ein einzelner Mann ein ganzes Land vor einigen Tagen in Unglauben, Schmerz und Trauer gestürzt hat, aber nur Liebe, niemals Hass die Antwort sein könne und wie sie weinen dabei und wir beide Stunden daran zu kauen haben und es letztlich mitnehmen, sicher bis heute.

Ich erinnere mich an unzählige Tiere, Schafe, naklar, ein Pferd, das wie ein Glas Guinness aussieht mit seiner blonden Mähne, eine angekettete Ziege, die uns zum Schmunzeln bringt, uns seltsam anrührt dabei, dass wir sie am liebsten losbinden wollen und an eine ganze Hühnerfamilie, die in einem quietschebunten Haus wohnt, an der wir uns gar nicht sattsehen können.

Und natürlich an diesen Hund, unseren Hund, der uns auf der Radtour eine ganze Weile begleitet, uns irgendwie zuläuft, oder wir ihm, er so Teil von unserer kleinen Reisegruppe wird, wir ihn und seine Lebendigkeit gerne aufnehmen und beide traurig sind, als er uns verlässt, plötzlich einfach in eine andere Richtung läuft, noch bevor wir richtig verstehen, was er uns sagen wollte.

Ja, und schließlich eben an diesen Moment am Steinstrand am Ende der Welt, ganz nah an den Quellen, von denen du so gerne sprichst, an denen zu sitzen du dir wünschst, zum Lauschen. Hier ist es ein mächtiges Tosen auf unseren Ohren und doch Stille und wir gehen erst, als es längst viel zu kühl geworden ist in diesem kräftigen, klärenden Wind.

In meiner Erinnerung klärt sich einiges von dort aus:

Wir teilen Zeit und vergewissern uns unserer Freundschaft und aktualisieren sie seither in unterschiedlichen, aber verlässlichen, tragfähigen Abständen.  

Du wirst ihm schreiben, noch von Irland aus, während einer Wanderung, ich werde dabei auf einem flechtigen Hügel sitzen und in die Sonne gucken. Du wirst ihn heiraten und eine Familie gründen.

Und ich werde, nachdem wir uns im Busbahnhof von Galway mit einiger Wehmut verabschiedet haben, weiterziehen, in den zerrütteten Nordteil der Insel, und werde noch viel über Alleinsein lernen und einen Umgang damit. 

An Theken werden wir, mit Unterbrechungen, weiterhin immer wieder gemeinsam sitzen, seit vielen Jahren nun schon und uns stets viel aus unseren unterschiedlichen Leben zu erzählen haben. Wenn wir jemals wieder auf die Áran Islands zurückkehren werden, werden wir dies in einer Weise sicherlich gemeinsam tun. Das ist ein gutes Gefühl.

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