In der Rauchbucht- Þessi planta veslast upp og deyr í skugganum*

Am Flughafen Keflavik gibt es genau zwei Busanbieter, die den Strom der Touristen fast geräuschlos in die Hauptstadt abfließen lassen. Jede Maschine wird so einzeln abgefrühstückt, die Busse folgen dabei den Landezeiten, stehen schon bereit für die Passagiere, die gerade aus dem kleinen verglasten Flughafengebäude in den frischen, heiteren Augustnachmittag geworfen werden.

Blinzelnde Menschen aus der ganzen Welt. Selfie vor Comicgrafitti oder Papageientaucherplakat, Mütze auf, Jacke aus, Pulli an, Mütze schließlich wieder ab, den überdimensionierten Rucksack immer wieder auf- und abgesetzt. Dabei falten sie die bunten, seltsam großen und  irgendwie mittelalterlich anmutenden Kronenscheine wie Monopolygeld grinsend vor sich her, die sie gerade aus den Automaten gezogen haben und überhaupt nicht brauchen werden, weil in Island alles, alles, wirklich alles und wirklich überall mit Karte bezahlt werden kann, als habe dieses Land das Vertrauen in das Geld verloren. 

Die Busse warten auf die Nachzügler, mit ausgeschalteten Motoren, aufmerksam und still in sich hinein lächelnd. Sehr isländisch.

Im Bus beginnt die Fotosafari, die zweispurige Straße in die Stadt führt durch liebliche Lavasteppe und am Meer entlang. Den flechtenüberzogenen Teppich am Wegesrand  durchstoßen immer wieder dunkle schroffe Felsbrocken und ich muss irgendwie an Modelleisenbahnen denken. Das WLan- Netz des Busses spuckt uns wichtige Fakten über Land und Leute aus oder lässt uns Kontakte nach Hause knüpfen und Bilder teilen oder Eindrücke. So sitzen wir da mit angezogenen Knien und blicken leicht verstrahlt zwischen Handydisplay und Seitenfenstern hin und her.

Auf den letzten Kilometern wird es städtischer, eilig hochgezogene Gewerbegebiete säumen die Straße:  Autohäuser, Supermärkte, Bürokomplexe: Verchromtes Blech und Trockenbau.

Schließlich sind wir da.

„Take the bus to the city, I´ll pick you up at the BSI”. So hatte Bjorg, meine Gastgeberin, es geschrieben.

Der Busfahrer wickelt in abenteuerlichem Englisch die vielen Um- und Ausstiege ab und ich warte auf meinen Anschluss.

Aber er kommt nicht.

Es rattert. Irgendjemand hat den Ton in der Umgebung ausgestellt. 

Heißes Pochen, Malmen, Nichts.

 

Ich sitze im falschen Bus. 

Kein BSI, Endstation. Bus Stop Number Six.

Den wiederum kennt Bjorg nicht, die ich vom Straßenrand aus anrufe, nachdem ich mich etwas beruhigt habe. Wir verabreden einen Treffpunkt:

„Das Torhaus bei der Brücke am See“.

In einer Stadt, in der ich noch nie war. Na prima.

Ich stimme sofort zu. Und renne los.

Mit meinem Trolly und meinem Wanderrucksack und dem Jutebeutel mit den Büchern, die ich nicht lesen werde, komme ich mir albern vor und überladen. Die Gummirollen klackern über das Pflaster der Innenstadt, die ich einmal durcheile, mit gesenktem Blick, die Nase in der groben Karte in meinem Reiseführer. Da lang.

Es ist am Ende erstaunlich leicht, diesen Platz zu finden, der künstlich angelegte See- die Isländer nennen ihn „Tjörnin“, Teich und treffen es damit viel genauer-  liegt mitten in der Stadt, die Brücke teilt ihn in zwei Teile und das Torhaus ist das einzige Gebäude darauf. Die Sache mit den schrecklichen Unglücken meines Lebens, die meist nicht eingetreten sind, geht mir durch den Kopf, ein Zitat, das auf einem vergilbten PostIt an meinem Monitor zu Hause klebt und ich entspanne mich kurz.

Um im nächsten Moment wieder aufmerksam Ausschau zu halten nach...

Ihr.

Ein uralter weinroter Skoda Kombi stoppt abrupt an der Kreuzung, ein kleines graues Gesicht schaut aus dem heruntergekurbelten Fenster und ruft mir etwas zu, rührt mit ihren Fingern durch die Luft. Ich verstehe kein Wort, da hat sie aber auch schon einen U- Turn gemacht und steht auf dem Bordstein direkt vor mir.

Bjorg.

Nicht weniger zerknittert als ihr Auto, gleichzeitig irgendwie alterslos und ich merke, dass ihr unscharfes Profilfoto bei AirBnB mir angesichts ihres Namens doch noch einen Rest Hoffnung machte auf ein geheimnisvolles Trollmädchen mit Inuitaugen, was sie deutlich, sehr deutlich nicht ist. Ich verstaue mein Gepäck und springe rein, bin erstaunt, dass das Auto nicht nach Kippen riecht, Fisch oder Altöl.

„Finally“, sie grinst.

Ich bin sofort verknallt in Bjorg, sie quasselt ununterbrochen, ihr Englisch ist hartgefroren und fließt doch sprudelnd aus ihr raus. Das Wetter sei seit heute prima, ich ein „Lucky Guy“, endlich Sommer (es sind 17 Grad) wie lange ich in Island und ob ich schonmal und wo ich herkäme und all das, was man so fragt bei der ersten Begegnung, nur selten in den ersten zwei Minuten. Ich genieße es, auch selber loszuplappern und so lassen wir einfach laufen und Bjorg gibt mir spontan und natürlich ungefragt eine Stadtführung, fährt Schleifen, schaut, erzählt, stoppt, zeigt, schaltet brutal krachend Gänge, telefoniert bei all dem und ich höre ihrem Isländisch gerne zu dabei, es ist kehlig und warm. Ich genieße ihre Seelenruhe an einer Ampel mittendrin, als der Gang nicht so recht will und auch das Handydisplay nicht und sie ja auch noch diesen Satz zum ältesten Haus Islands loswerden mag, egal, ob grün ist oder nicht.

Es macht mich zugleich wahnsinnig.

An einer weiteren roten Ampel sagt sie etwas, was mir nachgeht, bis heute. Spricht von den alten Wellblechhäusern direkt am Meer, die Reykjavik so prägten und ein Zuhause waren für die einfachen Leute. Sie stehen jetzt in zweiter Reihe, hinter den Glasfassaden der Business- Gebäude und der Highendhotelkomplexe am Boulevard, „in the shadow“, wie sie sagt.

„They stole their sun“. Rumms.

„Reykjavik changed a lot”, hadert sie. Und tatsächlich sieht es hier mit all den Hochglanzbauten am Wasser und dem fast vulgär- schönen Opernhaus aus wie in Düsseldorf, Hamburg oder Oslo oder eben jeder anderen Stadt, die irgendwas sein will außer unmodern und damit alles ist außer eigenartig. Ich bin mir sicher, dass das nicht aufgehen kann.

Die Ampel springt auf grün, wir fahren ruckelnd weiter und ich frage mich, wie es eigentlich um meine Sonne bestellt ist. 

 

(* Im Schatten verkümmert diese Pflanze . Das war isländisch)

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